Gerd Conradt

Gerd Conradt
1966
Gerd
Conradt
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Gerd Conradt (*1941, Schwiebus, heute Polen). 1945 Flucht mit der Familie nach Thüringen. 1955 Abschluss der Grundschule in Erfurt, danach Wechsel auf ein evangelisches Internat in Westberlin. 1962 Abschluss Fotografenlehre. 1962-64 Studium Gebrauchsgrafik, Werkkunstschule Berlin, gleichzeitig Arbeit als Schauspieler und Handyman an Theatern (Vagantenbühne, Schiller Theater), beim Film (Playgirl) und auf Kunstausstellungen (dokumenta3). 1965-66 Studienaufenthalt in Rom. 1966-68 Studium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Seit 1982 freiberuflich tätig als Regisseur, Autor, Kameramann und Produzent. Seine Filme und Videoprogramme sind meist Porträts - konzeptionell gestaltete Zeitbilder, oft als Langzeitdokumentationen. Themenschwerpunkte seiner Arbeiten sind: Berliner Stadtgeschichte, Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands, Studentenbewegung (RAF) – „Poesie-Videos“ und „Videobriefe“ als Unterrichtsfilme, Videoinstallationen. Mitarbeit an Zeitschriften, Lehrtätigkeit an Hochschulen (Salzburg, Hildesheim, Magdeburg, Berlin, Peking).
Über Holger Meins, 1982
Der Videopionier, 1984
Fernsehgrüße von West nach Ost, 1986
Ein-Blick, 1987
BlaubeerWald, 1990
Hold Me, Love Me – Irene Moessinger und das Tempodrom 1995
Dygyldai, 1997
Menschen und Steine, 1998
blick.berlin.dok, 2000
Starbuck – Holger Meins, 2002
Rettet Berlin!, 2003
Monte-Klamotte, 2005
Die Spree – Sinfonie eines Flusses, 2007
Farbtest.6, 2008
Atem – Spiegel der Seele, 2009
Farbtest.10, ARIRANG – Letter to Barack, 2011
Mauer
Mitglied der Deutschen Filmakademie
Ford Foundation - Berlin Confrontation, Gebr. Mann Verlag, 1965, Hrsg.
Starbuck – Holger Meins, ein Porträt als Zeitbild, Espresso Verlag, 2001
Starbuck – Il Corpo come Arma, Vita e morti di Holger Meins, Zambon, 2013
An der Spree – der Fluss, die Menschen, Transit Verlag, 2005
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Aus Black Box, Nr. 260, August / September 2016

NACH 50 JAHREN SOLLTE SCHLUSS SEIN

Ein Gespräch mit dem Filmemacher Gerd Conradt über die Anfänge der Deutschen Film- und Fernsehakademie. Zum 50. Jubiläum der DFFB ein Blick zurück auf die alten Zeiten und ein Vorschlag, wie es weitergehen könnte. Zum Beispiel so: Keine neuen Filme, bevor nicht die alten verarbeitet sind.

Ellen Wietstock:
Wie sah der Lehralltag eines DFFB-Studenten in West-Berlin in den ersten Jahren aus?

Gerd Conradt:
Es war schon ein großes Glücksgefühl, zu denen zu gehören, die aus 800 Bewerbern ausgewählt worden sind. Man sollte nach Möglichkeit schon eine Berufsausbildung vorweisen können. Ich hatte eine Lehre als Fotograf abgeschlossen und als Fotografengeselle den Beruf ausgeübt, außerdem bei Filmproduktionen mitgearbeitet, zum Beispiel als Standfotograf bei Ulrich Schamonis Film "Es", bei Will Trempers "Playgirl" und bei Filmen von Peter Lilienthal mitgespielt. Ich kannte Peter Weiss vom Berliner Schillertheater, der mit dem Stück "Marat" Theatergeschichte geschrieben hat. Ich war nebenbei am Theater als Komparse und Kleindarsteller tätig. Peter Weiss war als Direktor für die neue Filmschule im Gespräch, und auf seinen Rat hin habe ich mich beworben. Damals wie heute gilt: Wer in den Gremien keine Lobby hat, hat es schwer. Das Auswahlverfahren dauerte eine Woche. Jeder musste mit einem Jurymitglied ein Gespräch führen, mein Partner war Dr. Heinz Rathsack, der Verwaltungsleiter und spätere Direktor der DFFB.

Ellen Wietstock:
Worum ging es in diesem Aufnahmegespräch?

Gerd Conradt:
Um Film, Politik und Religion. Dadurch, dass ich fast zwei Jahre in Rom gelebt hatte und meine Frau zu der Zeit für Radio Vatikan arbeitete, war ich über die aktuellen Entwicklungen in der katholischen Kirche gut informiert, und Dr. Rathsack war beeindruckt, wie genau ich die Enzykliken des Papstes kannte. Ich war übrigens der Einzige im ersten Jahrgang mit DDR-Hintergrund. Ich fühlte mich mental im Westen angekommen, meine DDR- Sozialisation war aber wichtig, wie sich später zeigte. Ich war bereits Vater und damit in einer speziellen Situation. Helke Sander, Wolfgang Petersen und Enzio Edschmid hatten auch Kinder. Für Helke war diese Problematik existenzieller, denn wir Männer hatten ja Frauen, denen wir das Kind auf den Schoß setzen konnten.

Am 19. September 1966 begann der Unterricht in sieben Regieklassen. Ich ging zu Peter Lilienthal, in meiner Klasse waren Holger Meins und Hartmut Bitomsky. Das Studium dauerte damals nur drei Jahre, alle sollten alles machen – Regie, Produktion, Ton, Kamera, Schnitt, Drehbuch, jeder sollte einen Erstjahres-Film produzieren. Ulrich Gregor, der spätere Leiter des Internationalen Forums des jungen Films, unterrichtete Filmgeschichte, und zwar montags früh um 9 Uhr, da saßen manchmal drei, vier Leute, zum einen weil man nicht aus den Betten kam und zum anderen weil offenbar kein Interesse vorhanden war. Er präsentierte uns ein sensationelles Programm und schleppte absolute Raritäten an: die italienischen Neorealisten, die polnischen Filme, auch Nazifilme und Vorbehaltsfilme wie "Hitlerjunge Quex", russische Filme wie Vertovs "Der Mann mit der Kamera", oder Luis Bunuels "Der andalusische Hund", für mich bis heute ein Schlüsselfilm.

Ellen Wietstock:
Welche Berufsvorstellungen herrschten vor?

Gerd Conradt:
Ich wollte Kameramann werden, habe in diesem ersten Jahr bei sechs Filmen von Kommilitonen Kamera gemacht, unter anderem bei den Filmen "Subjektitüde" von Helke Sander, "Oskar Langenfeld" von Holger Meins und "Der Tod vom Sokrates" von Enzio Edschmid.

Ellen Wietstock:
Wer fungierte damals als künstlerischer Leiter der DFFB?

Gerd Conradt:
Das war Erwin Leiser, ein Dokumentarfilmer, der in der Schweiz lebte und mit seinem Film "Mein Kampf" weltberühmt geworden war, ein Autodidakt übrigens. Er war relativ selten da. Wie ich später in einem Interview von ihm erfuhr, hatte er kurz vor dem Eröffnungstermin einen Herzinfarkt und sein Arzt hatte ihm geraten, den Job nicht anzutreten. Am Anfang gab es an der DFFB kein Konzept. So hatten wir, die „Auserwählten“, einen großen Spielraum. Wir sollten Filme drehen und das taten wir ausgiebig. Wir saßen im vierten Stock eines Verwaltungsgebäudes, in dem der Sender Freies Berlin, der SFB, untergebracht war. Zusammen nutzten wir die Kantine. Die Fernsehleute sahen uns, die neue Generation, argwöhnisch an und wir blickten grimmig zurück. Draußen, in der Frontstadt West-Berlin, dem Schaufenster des freien Westens, fand im Dezember 1966 die erste größere Vietnam-Demonstration statt, auf der ich als einer der Rädelsführer verhaftet wurde - mein erster Kontakt mit Polizei und Justiz. Ich war angeklagt wegen Landfriedensbruch und Widerstand gegen die Staatsgewalt. In dem Zusammenhang habe ich Horst Mahler kennen gelernt, der mich sehr beeindruckt hat. Er setzte sich als Rechtsanwalt und Verteidiger in diesen Prozessen ein.

Die Konflikte innerhalb der DFFB begannen am Ende des ersten Studienjahres, als unsere Erstjahresfilme als Prüfungsfilme betrachtet wurden, von denen abhing, wer weiter studieren durfte und wer nicht. Das hatte man uns nicht angekündigt. Sechs Studenten fielen durch. Es kam zu heftigen Protesten, wir wollten über die Kriterien diskutieren. Das war für die Direktion ein Problem. Die meisten Dozenten hatten Zeitverträge, waren nicht mehr im Haus, die dffb befand sich in einem Vakuum. Mit unserer Forderung sind wir an die Öffentlichkeit gegangen, haben Pressekonferenzen durchgeführt, was die Akademieleitung als unmöglich empfand. Diese Aktivitäten waren für mich wichtige Erfahrungen. Pressevertreter der wichtigen Tages- und Wochenzeitungen berichteten über die Ereignisse an der DFFB. Daraufhin lenkte die Akademieleitung ein und diejenigen, die im ersten Anlauf nicht bestanden hatten, erhielten eine zweite Chance.

Aus dieser Konfliktsituation ist dann die Idee entstanden – befördert von der wunderbaren Helene Schwarz, die zu einer Befriedung der Situation beitragen wollte - einen Akademischen Rat zu gründen, eine drittelparitätisch besetzte Einrichtung. Für mich war das die erste Erfahrung, gelebte Demokratie kennen zu lernen, Wir als Studenten waren beteiligt, konnten und sollten Vorschläge machen und Beschlüsse fassen. Wie ich höre, ist der Akademische Rat der DFFB in den letzten Jahren mehr oder weniger ausgehöhlt bzw. fast abgeschafft worden, was ich für einen ganz großen Fehler halte. Eine solche Einrichtung fordert von allen Beteiligten und in dem Fall insbesondere von den Studenten die Bereitschaft, sich neben dem Filmstudium zu engagieren.

Im zweiten Jahr setzte mit dem 2. Juni und dem Tod von Benno Ohnesorg die politische Radikalisierung an der DFFB ein. Entsetzt und empört über den brutalen Polizeieinsatz bei der Schah-Demonstration gingen Holger Meins und ich tags darauf zum ASTA der Freien Universität (FU) und richteten dort ein Büro ein, wo wir alle verfügbaren Fotos sammelten, an alle Polizisten, die an den Einsätzen beteiligt gewesen waren, Nummern klebten und die Fotos in einer Ausstellung zeigten. Zu den Bildern sammelten wir Zeugenaussagen. Als Teil des ASTA-Ermittlungsausschusses waren wir erfolgreich. Mehrere Polizisten in Uniform und in Zivil konnten anhand der von uns gesammelten Fotos überführt werden.

In dem Jahr störten wir auch die Berlinale mit Eierwürfen, der sich etablierende Junge Deutsche Film saß auf der Bühne. Ich stand diesen Störaktionen skeptisch gegenüber – schließlich wollte ich in der Branche arbeiten. Kunst interessierte mich mehr als Politik

Ellen Wietstock:
Habt Ihr Euch in Eurer Verschiedenartigkeit respektiert?

Gerd Conradt:
An der DFFB war ein gewisses Lagerdenken entstanden, die Kontakte liefen über die Filmprojekte. Es wurde viel gearbeitet, Filme gedreht, geschnitten und es wurde kaum über persönliche Dinge gesprochen. Wir waren sehr verschiedene Persönlichkeiten und hatten sehr unterschiedliche künstlerische Ansichten. Wolfgang Petersen wollte große Spielfilme machen und keine Politik. Gerry Schum ist ein wichtiger Videokünstler geworden. Helke Sander erprobte filmische Stile und war 1968 Mitbegründerin des Aktionsrats zur Befreiung der Frau. Der Schweizer Daniel Schmid drehte versponnene, gefühlsbetonte Filme, orientiert an Klassikern. Ich wollte Propaganda in Verbindung mit Pop Art machen, das Werk sollte in sich authentisch sein - wie zum Beispiel in meinem Film "Farbtest Rote Fahne", der ein Happening, ein Staffellauf war und die symbolische Besetzung durch das Hissen der roten Fahne am Rathaus darstellt. Unserer Kameradozent Michael Ballhaus gab jedem Studenten im Grundkurs eine erste Rolle Farbfilm in die Hand und sagte, macht damit, was Ihr wollt. "Farbtest Rote Fahne" war eine Guerilla-Aktion, ohne Drehgenehmigung, mit gefakter Filmanmeldung usw. Es kamen natürlich Anfragen vom Senat, wer denn solche Filme finanziere und verantworte. Meinen sozialistischen Freunden war der Film zu verspielt und der Kinofraktion zu wenig dramatisch. Inzwischen ist er eines der raren authentischen Zeugnisse aus der dieser Zeit.

1968 spitzte sich die Situation zu. An der DFFB gab es eine Fraktion, die den Vietcong mit Geräten unterstützen wollte und agitierte. Alles, was wir machten, musste antiimperialistisch sein, die DFFB sollte zu einem antiimperialistischen Bollwerk ausgebaut werden nach dem Motto: "Wir fordern die DFFB auf, den Kampf des Vietcong zu unterstützen – Herr Rathsack, unterschreiben Sie", so im Stil der Roten Garden, der jungen chinesischen Kulturrevolutionäre. Und auch die ungeklärte Frage nach der Bewertung der Filme schwelte weiter. Aus Protest über diese Haltung haben wir eine Sitzung des Kuratoriums der DFFB gestürmt. 15 Studenten betraten den Raum, Erwin Leiser rief die Polizei, und wir wurden rausgetragen. Das war eine hilflose Aktion, man hätte ja auch sagen können, kommt rein, lasst uns mal Kaffee und Kuchen holen und miteinander reden. Da rief der Filmstudent Günter Peter Straschek: "Der Jude Erwin Leiser lässt den Juden Günter Peter Straschek von der Polizei raustragen". Auf der Berlinale 1968 sind wir wieder aufgetreten und haben offen gegen Erwin Leiser Politik gemacht.

Im November 1968 folgte die Besetzung des Direktionsbüros der Filmakademie. Wir haben die Schränke durchsucht, Whiskey, Zigarren und einen Film gefunden, der angeblich verschwunden war. Wir haben Akten mitgenommen, ich fand eine Korrespondenz vom Bundesinnenministerium, in der schon sehr früh über eine Schließung der Schule nachgedacht worden war. Und wieder kam die Polizei, wir erhielten Hausverbot, die Studienverträge wurden gelöst. Rückblickend würde ich sagen, wir haben es überzogen, die Ohnmacht auf beiden Seiten wurde deutlich. Es gab aber auch niemanden, der vorschlug, sich einmal an einen runden Tisch zu setzen und über die Frage zu diskutieren, was eigentlich mit dieser Schule los war, wo es mit dem Film hingehen sollte. Das war für mich und 17 andere Studenten erst einmal das Ende unseres Studiums. Gegen diese Relegation haben wir einen langen Prozess geführt und gewonnen. Inzwischen war Erwin Leiser als künstlerischer Direktor zurückgetreten und Heinz Rathsack, der neue Direktor, wollte uns auf keinen Fall wieder aufnehmen. Er war in der Bredouille, er mochte uns und hat das Talent gesehen. Es kam zu einem Vergleich, jeder Student erhielt 18.500 DM als nicht-zweckgebundene Abfindung.

Ellen Wietstock:
Es gab damals kaum Filmförderung, das Bundesinnenministerium vergab den Deutschen Filmpreis, die FFA und das Kuratorium junger deutscher Film nahmen gerade erst ihre Arbeit auf. Welche Arbeitsmöglichkeiten bot das Fernsehen Ende der 1960-er Jahre?

Gerd Conradt:
Schon 1969 fing ich zusammen mit Holger Meins und Philipp Sauber an, mit Video zu arbeiten. Mitte der 1970-er Jahre kam dieser Begriff von der Gegenöffentlichkeit auf, es wurden Videofestivals gegründet, man konnte preisgünstig dokumentieren. Ohne diese Technik hätte ich niemals die ausführlichen Interviews mit dem Vater von Holger Meins machen können. Ich bekam dann sehr schnell Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen und stellte kleine experimentelle Beiträge für das Jugend-Magazin "45 Fieber" her. Die Arbeit mit Jugendlichen erfüllte mich, ich erkannte mein Talent – und ich wollte mit meinem erlernten Handwerk regelmäßig in der Fabrik Fernsehen arbeiten. Das gelang mir später beim Schulfernsehen.

Es ist nicht so, dass ich nicht auch das Kino lieben würde. Es ist eigentlich der Ort, an dem am wenigsten Zensur ausgeübt wird. Aber es ist sehr schwer, einen größeren Dokumentarfilm fürs Kino zu machen – denn ohne Fernsehbeteiligung gibt es nur selten Förderung. Und ich arbeite gerne mit Dokumenten aus Archiven – die fast immer dem Fernsehen gehören. Um jedoch im Gespräch und im Geschäft zu bleiben, drehe ich in den letzten Jahren Filme nach einem gebrauchsorientierten Konzept, Filme, die mit kleinem Budget realisierbar sind und die sich in dem Rahmen auch amortisieren. Es gab zum Beispiel Bedarf, einen Film über die Atemtherapeutin Ilse Mittendorf zu machen "Atem – Stimme der Seele", der Film hat sich über DVDs gut verkauft und die Produktionskosten eingespielt. Mein Film "anfangen" über Christina Thürmer-Rohr ist aus einem Impuls entstanden, dass ich sehen wollte, wie DENKEN aussieht, weil ja viel übers Denken geredet wird – und gleichzeitig hat mich die Frage beschäftigt: Woher kommt das Böse, ist das Böse ein Teil von uns allen, wird es uns anerzogen? Ist das in erster Linie ein Genderproblem? – Männer agieren gewalttätig. Von der Feministin Christina Thürmer-Rohr habe ich mir Antworten versprochen. Im Zuge der Recherchen habe ich gesehen, dass es etwa 100 Gender-Professuren in Deutschland gibt und die benötigen Unterrichtsmaterial. So müsste doch mein Film auch in dem Rahmen gebraucht werden, was sich bestätigt hat.

Ellen Wietstock:
Welche Empfehlungen würdest Du den heutigen DFFB-Absolvent*innen mit auf den Weg geben?

Gerd Conradt:
Ganz wichtig ist, sich darüber klar zu werden, ob das Filmemachen als Beruf begriffen wird und ob man davon leben will, inwieweit man es als Handwerk betrachtet. Ein Handwerk musst du jeden Tag machen und die Arbeitsbedingungen genau kennen.

Ellen Wietstock:
Nun ist heute alles anders: Zum einen existieren beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht mehr diese inhaltlichen Freiräume, und die Auftragsvolumen reichen doch noch nicht einmal für die Filmemacher, die diese Formate und Sendeplätze bedienen wollen. Und es sind nicht zwei, drei Nachwuchsleute unterwegs, sondern tausend.

Gerd Conradt:
Richtig, und deshalb bin ich der Meinung, dass man nach 50 Jahren den Ausbildungsbetrieb an der DFFB so wie bisher nicht mehr fortsetzen sollte. Einen klaren Schnitt machen, was Neues beginnen – allerdings auf dem aufbauen, was geleistet worden ist; sich mit den vorhandenen Filmmaterialien beschäftigen – nachdenken. Schon seit Jahren läuft man einem Autorenfilmkonzept hinterher, wobei eine Menge Absolvent*innen auch erfolgreich sind – oder waren! Doch das Gros der Leute, fürchte ich, fällt durch das Raster.

Mein Vorschlag: Ab dem nächsten Jahr sollten nur noch Leute aufgenommen werden, die an diesem Konzept arbeiten wollen, mit diesem Reichtum an Narration. Schätzungsweise sind in den 50 Jahren von ca. 1000 Studierenden an der dffb 5.000 bis 10.000 Filme entstanden – die liegen zum großen Teil als unbekannte Schätze im Archiv. Aus den Materialien sollten neue essayistische Filmformen entstehen – im Stil von "La jeunesse allemande" oder wie es aktuell in einem Projekt der Dozenten Frank Behnke und Stefan Pethke als Seminarprojekt gemacht worden ist "Einführung in eine wahre Geschichte der dffb". Aus vierhundert Minuten Filmausschnitten aus über einhundert dffb-Ausbildungsfilmen entstand ein Bilderreigen von atemberaubender Intensität. Das Ganze sei ein „Zufallsprodukt“, denn die beteiligten Student*innen konnten das Material ohne Vorgabe frei bearbeiten.

Die DFFB als Montageschule sollte radikal über neue Formen der TELEVISION nachdenken, für ein eigenes TV-Magazin kämpfen, Serien entwickeln, als Impulsgeber auftreten - auch für die neuen Medien.

Anzahl aller Bilder: 8

Ankündigung der Werkschau Gerd Conradt.
Zum 75. Geburtstag & 50 Jahren Arbeit mit dem Bewegbild.
30.05 bis 29.06. 2016