2021/05/16: WIR TRAUERN UM HELENE SCHWARZ

Von Lilly Grote, 11. Mai 2021.

 

Gestern erreichte mich die Nachricht, Helene Schwarz ist gestorben. Sie ist am Montag, den 10. Mai 2021 um 9 Uhr 30 friedlich eingeschlafen, wie mir ihre Tochter Claudia berichtete. Helene wurde 94 Jahre alt.

Helene lernte ich 1978 während meiner Studienzeit in der DFFB kennen. Damals war die DFFB noch in der Pommernallee am Theodor-Heuss-Platz. Helene hatte ihr Büro mit einer Kaffeemaschine ausgestattet. Die Tür war stets offen. Helene saß vor ihrer Schreibmaschine. Ihr freundliches Gesicht vor einer Fotowand, an der ich die Menschen, also die Geschichte der DFFB ablesen konnte. Sie tippte „blind“ ihre Stenografien ab. Protokolle aus Sitzungen, Texte zu diversen Studienplänen, Wochenplänen, Flugblättern, Aufrufen, Beschlüssen. In dieser Zeit manifestierte sich die drittelparitätische Mitbestimmung der Studierenden. Mit Helene hatten wir leidenschaftlich über die Zukunft der DFFB debattiert, mitunter auch unversöhnlich. Helene war für uns wie eine Sonne, die für uns alle strahlt und von innen heraus leuchtet. Ihre Augen hatten einen besonderen Glanz. Wissende Augen. Lesende Augen. Sehende Augen.

Nach dem Umzug der DFFB zum Potsdamer Platz hatte Helene ihre Fotowand ins neue Büro mitgebracht. Wir waren alle abgebildet. Ein Potpourri von DFFB Generationen seit 1966. Gelb für die Einrichtung blieb ihre Lieblingsfarbe. Wie immer hörte sie zu, wenn wir eine Bitte hatten, eine Frage oder ein Video ausleihen wollten. Sie hatte hunderte Filme bei sich zu Hause aufgenommen und eine DFFB Videothek mit handschriftlichen Karteikarten aufgebaut.

Helene begann sehr früh morgens in ihrem Büro und hatte einen Teil ihrer Arbeit bereits erledigt, bevor es betrieblich und hektisch wurde. Die Mittagspause ab12 Uhr mittags war ihr heilig. Wer sich mit ihr zu Mittag verabredete, durfte nicht zu spät kommen. Darin war sie preußisch. Das Treffen mit ihr war ein Genuss der besonderen Art. Helene liebte Film, Kunst und Literatur. Sie las unendlich viele Bücher und ließ uns daran teilhaben. Sie erzählte, welches Buch sie gelesen, welchen Film sie gesehen, und welche Veranstaltung sie begeistert hatten. Der Austausch mit ihr war unvergleichlich. Helene liebte Schönheit und Kultur, blieb jedoch kritisch und streng. Sie verteidigte die Demokratie an der DFFB leidenschaftlich und reagierte empfindlich gegen Respektlosigkeit.

Helene war eine perfekte Zuhörerin und sie mischte sich auf eine Art und Weise ein, die nur ihr zu eigen war. Mit Herz. Mit Verstand. Mit Empathie. Mit Solidarität. Mit Klugheit. Mit Erfahrung. Mit Kritik. Mit Lob. Mit Humor. Mit Wärme. Mit Großzügigkeit. Mit Leidenschaft. Helene liebte die Menschen und genoss das Leben. Sie liebte zwei Männer. Der Vater ihrer Tochter Claudia starb früh, und Georg kam auf tragische Weise ums Leben. Schicksalsschläge. Sie selbst kämpfte erfolgreich gegen einen Darmkrebs, den sie in den USA therapierte.

Am 13. Februar 2020 feierten wir ihren Geburtstag im Haus Malta. Helene hatte sich schön gemacht, die Lippen geschminkt, das Haar frisiert. Sie erwartete aufgeregt ihre Geburtstagsgäste. Als ich ihr von der DFFB erzählte, leuchteten ihre Augen. Sie richtete sich auf und saß kerzengerade im Rollstuhl. Als sei sie auf einer Sitzung des akademischen Rates, sagte sie: „Sprecht nicht so schnell, sonst komme ich mit dem Protokollieren nicht mit.“ Ich fragte, wo wir seien. „Auf dem Aka-Rat in der DFFB.“

Helene war die Seele der DFFB. Mit einer langen schlanken Zigarette in eleganter Handhaltung und einem Glas Weißwein. Mit ihr fühlte man sich großartig. Sie inspirierte.

Helene Schwarz war bis zuletzt untrennbar mit der DFFB verbunden. Die DFFB und HELENE. HELENE und die DFFB waren wie ein Zwillingspaar. Sie kannten sich. Sie liebten sich und sie fetzten sich, wenn nötig. Helene war das Zentrum. Sie war die Königin. Das Helene-Schwarz-Café in der DFFB bleibt eine der vielen Erinnerungen.

 

Unsere Traueranzeige im Tagesspiegel vom 17.05.2021:

Helene dffb solo